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18. Dezember 2024

„Die Werkstatt ist keine Sackgasse“

Die BWB möchte noch mehr Mitarbeitende auf externen Arbeitsplätzen beschäftigen. Der Geschäftsführer der Berliner Werkstätten für Menschen mit Behinderung Dirk Gerstle erklärt, wie das Projekt BWB25 dabei helfen soll.

Herr Gerstle, worum geht es im Projekt BWB25?

Es beschreibt unser Ziel, dass 25 Prozent der Mitarbeitenden bis Ende 2025 außerhalb der Werkstattstandorte arbeiten sollen. Wir richten uns also noch stärker aus in Richtung externer Tätigkeiten und wollen unsere Mitarbeitenden stufenweise darauf vorbereiten, raus aus der Werkstatt und auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu gehen.

Was sind diese Stufen ganz konkret? 

Das sind zunächst einmal sozialraumorientierte Arbeiten, beispielsweise in einer öffentlichen Kantine, im GaLa-Bau oder auf unserem Kräuterhof Lübars. Hier haben die Mitarbeitenden regelmäßig Kontakt zu externen Besucherinnen und Besuchern und sind nicht mehr nur in den geschützten Räumen der Werkstatt tätig.

Auf der nächsten Stufe stehen unsere Betriebsintegrierten Gruppen, die BiGs, die zusammen mit einer Gruppenleitung in einem Unternehmen außerhalb der BWB tätig sind. Noch weiter gehen die ausgelagerten Einzelarbeitsplätze, wo die Mitarbeitenden quasi auf sich gestellt sind und in regelmäßigen Abständen von einem Jobcoach besucht werden. Im Arbeitsalltag sind sie nur mit Kolleginnen und Kollegen aus dem jeweiligen Unternehmen zusammen. 

Der vierte Schritt führt dann schon raus aus der Werkstatt: Das ist dann eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bei einem Unternehmen auf dem ersten Arbeitsmarkt über das Budget für Arbeit. Hier steht den Beschäftigten aber immer noch der Jobcoach oder der sogenannte Integrationsfachdienst bei Fragen oder Problemen zur Seite. Der letzte Schritt ist dann eine ganz reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Warum sind solche Überleitungen wichtig für die Zukunft der BWB und der Werkstätten insgesamt?

Die Werkstätten haben den gesetzlichen Auftrag, Menschen mit Behinderung die Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen. Ziel ist, sie für eine Überleitung auf den ersten Arbeitsmarkt vorzubereiten. In der Produktion qualifizieren und befähigen wir sie dafür. Um es mit einem Bild aus dem Fußballbereich zu sagen: Wir sind der Nachwuchsverein für bestimmte Tätigkeiten, die dann im Profibereich gebraucht werden. Es geht nicht darum, Fachkräfte heranzubilden, sondern gute Teamplayer. Je mehr Menschen wir in den Profibereich bringen, desto erfolgreicher waren wir als Nachwuchsverein. Eine solche Einstellung macht uns auch attraktiver für potenzielle neue Mitarbeitende. Sie wissen sofort: Die Werkstatt ist keine Sackgasse.

Reagiert die BWB mit ihrem Projekt auch auf die immer wieder zu hörende Kritik, dass Werkstätten eben genau das sind und nicht ausreichend Übergangsmöglichkeiten schaffen?

Ja natürlich, auch wenn wir im Vergleich schon ziemlich gut dastehen. 15 Prozent unserer Mitarbeitenden sind aktuell auf ausgelagerten Arbeitsplätzen tätig, also in einer BiG oder auf einem externen Einzelarbeitsplatz. Laut einer Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sind es bundesweit nur 9 Prozent. Das hat die Kritik verschärft. Den Werkstätten wird vorgeworfen, dass sie die Mitarbeitenden nicht gehen lassen. Aber meiner Ansicht liegt der wahre Grund darin, dass der Arbeitsmarkt nicht ausreichend auf Menschen mit Behinderung vorbereitet ist.  

Mit Blick auf unsere 15 Prozent sehe ich ganz klar den Zusammenhang zwischen externer Orientierung und Überleitung. Diesen Ansatz wollen wir deshalb weiter ausbauen. Im Berufsbildungsbereich orientieren wir uns auch stärker nach außen, beispielsweise durch externe Lernorte wie etwa bei der Integra. Hierzu setzen wir gezielt verstärkt Qualifikationsbegleiterinnen und Qualifizierungsbegleiter im Berufsbildungsbereich ein.

Wie setzt die BWB das Projekt organisatorisch um?

Mitte 2024 haben sich die Leitungskräfte der BWB erstmals auf einer Klausurtagung mit dem Vorhaben beschäftigt. Mit dabei waren die Geschäftsführung, die Regionalverantwortlichen, die Leitungen von Begleitendem Dienst und Berufsbildungsbereich sowie die Leitungen der Beschäftigungs- und Förderbereiche, der Stabstellen und außerdem der Betriebsrat. Schon bei diesem ersten Treffen haben sich durchweg alle mit dem Projekt identifiziert. Es ist unser gemeinsames Ziel, wir ziehen alle an einem Strang und arbeiten mit vereinten Kräften an der Umsetzung. 

Was ist seitdem passiert? Gibt es erste Erfolge?

Wir haben direkt auf der Klausurtagung eine Steuerungsgruppe gebildet, die die Prozesse von Anfang an begleitet. Zu dieser Steuerungsgruppe gehört jetzt auch Johannes Siegmund, der seit dem 1. Dezember in der BWB als neuer Projektleiter für BWB25 arbeitet. Seine Aufgabe ist es, dem Ganzen eine Dynamik zu verleihen, Maßnahmen vorzubereiten und für ihre Umsetzung zu sorgen.

Auf der Klausurtagung haben wir außerdem beschlossen, ein multiprofessionelles Akquiseteam zu gründen. Das soll sich sowohl um die Akquise von Mitarbeitenden kümmern als auch um die Akquise von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, die unsere Mitarbeitenden beschäftigen. Ich freue mich sehr, dass sich bereits ein Jobcoach aus dem Integrations-Management für dieses Team beworben hat. Zu dem Team werden auch Menschen mit Behinderung als Peer-Berater gehören.

 Darüber hinaus werden wir in Kürze ein Evaluationstool anschaffen. Es wird uns dabei unterstützen, die Fähigkeiten neuer Mitarbeitenden und ihr grundsätzliches Interesse an einer externen Tätigkeit besser bewerten zu können. 

Was steht in nächster Zeit an?

Johannes Siegmund wird sich als Projektleiter alle Bereiche genau ansehen und sich auch anschauen, welche Sorgen und Ängste möglicherweise bestehen. Denn natürlich ist es zum Beispiel für die Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter erst einmal beängstigend zu erfahren, dass ihre Mitarbeitenden die Werkstatt eigentlich am liebsten verlassen sollen. Geprüft werden auch mögliche Hindernisse zum Beispiel in rechtlicher Hinsicht. Bis Ende des Jahres 2024 soll es einen Projektplan geben und Anfang 2025 dann wieder eine Klausur des Leitungskreises stattfinden.

Für die Zukunftsausrichtung unseres Unternehmens ist das Projekt BWB25 elementar wichtig. Wir sichern damit unsere Zukunft und auch langfristig die Arbeitsplätze des Stammpersonals ab.